Karl
Berger verschenkt auf www.zeichenware.at
nicht die schlechtesten Cartoons
HARTE ZEITEN FÜR GROSSE GEFÜHLE
Von Robert Sommer
"Automatisches Zeichnen" ist vermutlich ein nicht
ganz treffender Begriff für die sonderbare Art, mit
der Augustin-Obmann und Augustin-Grafiker Karl Berger im
Laufe unserer Teamsitzung ein zu Beginn leeres Blatt füllt.
Wenn die Sitzung zu Ende ist, ist das Blatt voll von zeichnerischen
Skizzen und textlichen Anmerkungen wie zum Beispiel dem
Termin einer Gerichtsverhandlung, zu der der Vereinsobmann
erscheinen muss. Ich werfe immer verstohlene Blicke auf
dieses surrealistische Sitzungsprotokoll, das ich - A) als
Ausdruck unbewusster Kreativität, B) als nicht für
die Öffentlichkeit Bestimmtes und daher mich besonders
reizendes Stück Subkultur, C) als Beispiel für
Skizzenhaftes und Unfertiges, das mich generell mehr interessiert
als das Vollendete – gern am Ende der Besprechung
geschenkt bekäme. Doch wenn ich es erhielte, versäumte
der Obmann den Verhandlungstermin. Ich gebe meine Jagd auf
ein Berger´sches Vorstandssitzungsprotokoll nicht
auf ...
Karl Berger ist ein zum
Zeichnen berufener Mensch – und die ZeitgenossInnen,
die seine (vergriffenen) Cartoonbücher „Wir Supermänner“,
„Harte Zeiten“, „Große Gefühle“
und „alle fliegen“ oder seine Comics im Kurier
und in der ehemaligen täglichen Volksstimme kennen,
wundern sich, warum er sich als Cartoonist ausgerechnet
in „seiner“ Zeitung, im Augustin, derart zurücknimmt.
Das könne der Leser, die Leserin verschmerzen, meint
Karl Berger und verweist auf das Dream-Team von ZeichnerInnen,
die dem Augustin fix zur Verfügung stehen: Blitzstein,
Thomas Kriebaum, Carla Müller, OttaGringo, Sawanni,
Richard Schuberth, Magdalena Steiner. Nur „zur Not“
springt Berger mit einer Illustration ein: Wenn knapp vor
der Druckereiabgabe ein Foto zu einem Text fehlt.
Augustin-LeserInnen, die Berger-Cartoons vermissen, können
sich nun auf seinem Web-Portal www.zeichenware.at schadlos
halten. Dass der künstlerische Inhalt der Homepage,
die downloadbare Zeichenware, keine Ware ist, macht mir
Bergers Netzauftritt auf den ersten Blick sympathisch. „Alle
Cartoons aus dieser Bildershow können Sie gratis herunterladen.“
Wer wie Karl Berger zum Restbestand der früher noch
nicht ganz so minoritären Minorität der realitätsentrückten
Verabscheuer des Warencharakters aller Dinge des Universums
zählt, wird diese Copyleft-Geste schätzen.
Mehr als die Cartoons, ich gestehe es, vermisse ich Karl
Bergers Texte im Augustin. Berger schreibt so, wie er zeichnet
– nur weiß das leider kaum wer. Klicken Sie
auf der Startseite seiner Homepage auf BIOGRAFIE. Den fast
standardmäßigen Vorrat von Ironie und trockenem
Humor, die Vorstandsitzungen aus mancher Verkrampfung reißen,
setzt Karl Berger auch in seinen Texten ein: „Ich
wurde ziemlich jung 1953 in der Steiermark geboren. Während
eines Heilstättenaufenthalts als 5-Jähriger wurde
ich ruhig gestellt, indem man mich zum Zeichnen animierte.
Das war bedeutend angenehmer als die zweite Ruhigstellungsmethode:
den Kindern den Mund mit Leukoplast zupicken. Möglicherweise
ist mir deshalb eine starke Neigung zur Zeichnerei geblieben.
Nach einer Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker begann ich Comics
und Cartoons zu zeichnen. Ich lebe zurzeit von der Arbeit
als Zeitschriftengestalter und Zeichner im westlichen Wienerwald
mit Lebensgefährtin, Sohn, Tochter und der für
Zeichner obligatorischen Katze.“
Ein Zufall war´s, der mir die größte Kanonade
Berger´scher Ironie wieder ins Bewusstsein brachte.
Eine vergilbte Zeitung fiel mir in die Hände. Auf der
Coverseite und auf der „allerletzten letzten Seite“
der Volksstimme (Tageszeitung der KPÖ, die im März
1991 eingestellt wurde) konnte Karl Berger den Abgang des
traditionsreichen, am Ende einflusslos gewordenen Mediums
in seinem Stil kommentieren (siehe unten). Die Ironie dieser
historischen Cartoons war subversiv und selbstkritisch zugleich.
Subversiv, weil sie DogmatikerInnen in der Partei ärgerte.
Selbstkritisch, weil Berger lange Zeit übersehen hatte,
dass dieser Dogmatismus seine (ehemalige) ideologische Heimat
deformierte. Darin stand ich ihm um nichts nach, weswegen
für mich, damals Journalist der Volkstimme, die „Begräbnis“-Cartoons
meines Kollegen Karl Berger ein Befreiungserlebnis waren,
wie ein Schub Frischluft in einer monatelang ungelüfteten
Wohnung.
Wird ihm was einfallen,
wenn die Tage des Augustin gezählt sind? Eine doppelt
unzulässige Frage. Erstens ist für die Rudolf
Engels dieser Stadt (Cover-Held dieser Ausgabe) diese Zeitung
existenzieller als jedes Zentralorgan jeder Partei. Zweitens
fällt Karl Berger immer was ein. So viel Huldigung
muss sein in harten Zeiten für große Gefühle.
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